Männer unter dem Messer

18.09.2017

Baustelle Männerkörper

Fachartikel Ästhetische MännerchirurgieSteigende Nachfrage: Heute lassen immer mehr Männer ihr Äusseres optimieren, etwa den Bauch chirurgisch straffen.

Früher machte ein gewisser Status Männer attraktiv. Heute arbeiten sie darauf hin, auch optisch schön und vital auszusehen. Wenn es sein muss, mithilfe von Schönheitsoperationen. Männer, die zu Nicholas Waughlock in die Sprechstunde kommen, sind meist ohne Begleitung da. Weil es ihnen peinlich ist, sich beraten zu lassen, wie sie ihr Aussehen mithilfe von plastischer Chirurgie und kleineren medizinisch-kosmetischen Eingriffen optimieren lassen könnten? «Nein, das denke ich nicht. Aber ich spüre schon mehr Rechtfertigungsdruck als bei Frauen», sagt der Facharzt für plastische Chirurgie an der Klinik Pyramide in Zürich, einem Zentrum für plastische Chirurgie in Form einer Pyramide an bester Lage mit Blick auf den weiten Zürichsee.

«Schönheitsoperationen bei Männern sind zwar noch immer ein Tabuthema», räumt der spezialisierte Mediziner ein. Manche hätten Angst, dass jemand die plötzlichen Veränderungen sieht. Der Arzt schätzt, dass im Geschlechtervergleich überschaubare 20 Prozent seiner Patienten männlich sind. Gleichzeitig steigt aber die Nachfrage nach den Eingriffen. Wie kommt das?

Die Problemzonen

Die Schwerkraft kennt kein Erbarmen. Sie macht auch vor Männerkörpern nicht halt. Selbst wenn ihre Haut, weil eher fettiger und dicker als die von Frauen, weniger früh zu Falten neigt. Aber wenn sie es nicht früher tut, dann halt später. «Lidstraffungen zum Beispiel nehmen wir mittlerweile häufiger bei Männern vor», sagt Waughlock. Im Fokus seiner chirurgischen Arbeit stehen, wie zu erwarten, die typischen Alterserscheinungen: schlaffe Haut, hartnäckige Fettpolster und Haarausfall. Bei Letzterem heisst es manchmal lieber: ganz oder gar nicht. «Eine Glatze ist ein Statement», meint der Schönheitsarzt. «Genau wie volle Haare auch.»

Schütteres Haar, löchrige Stellen oder tiefe Geheimratsecken indes lassen sich mit einer Transplantation von bestehendem Haar «rückgängig» machen. «Wir arbeiten vorzugsweise mit der modernen FUE- Methode», erklärt Waughlock. FUE steht für «Follicular Unit Extraction». Dabei werden Einzelhaare entnommen und transplantiert. Dies im Gegensatz zur FUT-Methode (Follicular Unit Transplantation), bei der man einen ganzen Hautstreifen am Hinterkopf entnimmt und so die Haarfollikel quasi «erntet». Bei der FUE -Methode sieht man laut dem Experten den Eingriff weniger.

«Männer möchten nicht älter aussehen, als sie sind. Und sie möchten nicht anders aussehen, als sie sich fühlen.»

Ein schlagendes Argument für Männer, die den Gang zum Schönheitschirurgen wagen. Zumindest hier in der Schweiz, wo auch optische Zurückhaltung gelebt wird. Gut gemachte Eingriffe senken die Hemmschwelle, etwas an sich machen zu lassen. Insbesondere im Gesicht.

Früher wurde, um es rabiat auszudrücken, für ein Lifting mit einem Schnitt das gesamte Gesicht den Ohren entlang nach hinten gezogen. Heute wird gerne punktuell zu Botox und Fillern gegriffen. Das sind Stoffe, die zum Auffüllen von Falten verwendet werden. Auch der Rumpf wird zur Baustelle. Bauchstraffungen oder Fettabsaugungen bei Männerbusen sind im Portfolio. Männer wollen männlich aussehen.

Gesetze der Schönheit

Was macht einen Mann eigentlich aus? Was hatte Hollywoodbeau James Dean, was George Clooney heute hat? Man kann sagen, dass es aus der Attraktivitätsforschung klare Kriterien für eine anziehende Wirkung gibt: Bei den Männern ist es der breite Kiefer, ein starkes Kinn, dichter Haarwuchs, tief liegende Augen mit ausgeprägter Brauenpartie, breite Schultern und eine tiefe Stimme. Sie strahlen Durchsetzungskraft aus. Ein Attribut, das dem «starken Geschlecht» im Beruf von Nutzen ist.

Einst machte ein gewisser Status den Prototypen des Alphamännchens attraktiv. Heute arbeiten diese auch noch aktiv darauf hin, schön und vital auszusehen. «Diese kleinere Gruppe von Männern ist von Natur aus sehr konkurrenzorientiert», weiss der Schönheitschirurg. Das äussere sich ja oft auch im Privatleben. Sei es früher eher um männliche Statussymbole gegangen wie etwa teure Autos, Trinkfestigkeit, hohen Fleischkonsum und Körperkraft, gehe der Trend heute eher zu einem Wettkampf um den gesündesten Lebensstil: Ernährung, optimierte Performance, Wettkämpfe wie Marathons und Triathlons.

«Das ist grundsätzlich ein gesünderer Trend, im Extrem aber auch übertrieben», mahnt der Arzt. Das sei eben auch Teil dieser neuen «Alpha Male»-Kultur: dass man die Leistung messen kann. Um einen Marathon laufen zu können, muss man fit sein. Da gibt es keinen Abkürzungen. Das ist natürlich ein extremes Beispiel aus einem extrem leistungsorientierten Teil der Gesellschaft. Aber kennen wir nicht alle in unserem Bekanntenkreis einen Mann, der mit proteinpulvergestählten Muskeln und Pulsuhr um die Häuserblöcke rennt?

Für die Karriere

Der Optimierungswahn ist längst in allen grossen Sparten des Lebens angekommen. Nun macht er sich im männlichen Erscheinungsbild breit. Vital. Agil. Leistungsfähig. Unverbraucht. Das sind Stichworte, die aktuell darauf passen. Sie lassen sich aber auch ins berufliche Anforderungsprofil von Männern übersetzen. «Es ist sicher so, dass manche Männer, vor allem ältere, es zunehmend als Druck empfinden, im Job möglichst lange frisch und jugendlich auszusehen», ist Waughlock überzeugt.

So strahle ein offener, wacher Blick - ob nun nachgeholfen oder nicht - Frische und Aufnahmefähigkeit aus. «Männer möchten heute nicht älter aussehen, als sie sind. Und Männer möchten nicht anders aussehen, als sie sich fühlen», fasst der Schönheitsexperte seine Beobachtungen aus seinem Praxisalltag zusammen. Das sei eigentlich ein positiver Trend. Wie man diesen Zustand erreicht, ist aber glücklicherweise jedem Mann noch ganz selbst überlassen.
 

Interview Berner Zeitung, Biljana Jovic
Originalartikel auch als PDF «Männer unter dem Messer» verfügbar.