Anästhesie: Kein Grund zur Angst

04.07.2019

Begriffe und Verwirrungen

Der Begriff Anästhesie entstammt dem Griechischen und bedeutet «ohne Gefühl». Das Wort Narkose dagegen, ebenfalls mit griechischer Wurzel, bedeutet «Betäubung» im Sinne von Bewusstlosigkeit. Der Ausdruck Anästhesie ist also viel weiter gefasst und umfasst das ganze Spektrum des modernen Fachs. Das im Volksmund gebräuchliche Wort Narkose wird zwar richtigerweise mit Schlaf assoziiert, sollte aber besser mit Allgemeinanästhesie umschrieben werden. Im Gegensatz dazu ist eine Regionalanästhesie keine Betäubung mit Ausschaltung des Bewusstseins, sondern eine absichtlich herbeigeführte Gefühllosigkeit eines Körperteils. Der Begriff wird heutzutage ausschliesslich für die Spinal- und Epiduralanästhesie verwendet, also für die Betäubung rückenmarksnaher Nerven. Als Synonym für Spinalanästhesie wird gelegentlich auch Lumbalanästhesie, für Epiduralanästhesie auch Periduralanästhesie gebraucht. Das Unempfindlichmachen einzelner Nerven oder Nervenbündel fällt streng genommen nicht unter die Regionalanästhesien, sondern wird als Nervenblockade bezeichnet. Unter Lokalanästhesie versteht man das Infiltrieren eines Betäubungsmittels direkt ins Gewebe. Selbstverständlich gibt es zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten der Anästhesieverfahren.

Prinzip der Allgemeinanästhesie

Bei einer Allgemeinanästhesie wird also das Bewusstsein «ausgeschaltet». Dies geschieht medikamentös mit Anästhesiegasen oder Infusionslösungen. In der Klinik Pyramide werden ausschliesslich intravenöse Präparate angewendet. Diese Medikamente wirken äusserst zuverlässig und potent, führen aber nicht nur zum Bewusstseinsverlust, sondern auch zu einem Atemstillstand, der eine künstliche Beatmung notwendig macht. Dieser Umstand dürfte vor einigen Jahren Michael Jackson zum Verhängnis geworden sein, der sich Propofol als Schlafmittel verabreichen liess. In den Händen von Fachleuten mit entsprechenden Überwachungs- und Beatmungsmöglichkeiten ist Propofol das verträglichste und sicherste intravenöse Anästhetikum überhaupt. Aber nicht nur das Bewusstsein, sondern auch die Stressreaktionen des Körpers auf den chirurgischen Reiz werden bei einer Allgemeinanästhesie unter drückt. Dies wird mit starken, opiathaltigen Schmerzmitteln erreicht, die ebenfalls intravenös zugeführt werden. So können beispielsweise überschiessende Kreislaufreaktionen wie Blutdruck- und Pulsanstiege verhindert werden.

Entwicklung zur modernen Anästhesie

Seit der Bostoner Arzt William Thomas Green Morton 1846 erstmals in der Geschichte der Medizin eine erfolgreiche Äthernarkose durchführte, hat sich die Anästhesie rasant weiterentwickelt. Während des letzten Jahrhunderts wurden die Methoden der Allgemeinanästhesie und der Spinalanästhesie ausgebaut und verfeinert. Die Techniken der Nervenblockaden und der Epiduralanästhesie kamen dazu; die künstliche Beatmung wurde entwickelt, und zahllose Medikamente wurden eingeführt. Nicht unbedeutend ist die Entwicklung der Anäs-thesie als eigenständiges Fach innerhalb der Medizin. Während die ersten Anästhesien vom Chirurgen selbst durchgeführt wurden, verlangte die zunehmende Vielfalt der Methoden nach einer spezialisierten Ausbildung in dem neuen Fach. Ohne die Forschung und Erfolge auf dem Gebiet der Anästhesie wäre die weitere Entwicklung der hochtechnisierten Chirurgie wie z. B. der Neurochirurgie oder der Herzchirurgie undenkbar gewesen.

Das Ziel – und gleichzeitig auch die Kunst – einer optimalen Betreuung heutzutage ist die massgeschneiderte Anästhesie, also die Anpassung des Anästhesieverfahrens an die Bedürfnisse und Möglichkeiten aller Beteiligten.

  • Einerseits muss für jeden Eingriff die dafür nötige Anästhe-sieart gewählt werden; immer nach dem Grundsatz «so viel wie nötig und so wenig wie möglich». Für eine Handoperation beispielsweise ist grundsätzlich keine Vollnarkose notwendig, eine Nervenblockade reicht völlig aus. Selbstverständlich ist natürlich, dass der Operateur optimale Bedingungen für den geplanten Eingriff vorfindet; die Wahl der Methode hingegen ist Sache des Anästhesisten.
  • Andererseits muss die Art der Anästhesie den Bedürfnissen des Patienten angepasst sein. Ein Asthmatiker fährt – wenn immer möglich – mit einer Regionalanästhesie im Allgemeinen besser als mit einer Vollnarkose, da eine Reizung der Atem-wege durch die künstliche Beatmung vermieden wird. Ein Kind hingegen wird dankbar sein, so wenig wie möglich von einer Operation mitzuerleben, was mit einer Allgemeinanästhesie am besten erreicht wird.

Die optimale Anästhesie ist diejenige, die allen Bedürfnissen am besten gerecht wird.

Sicherheit in der Anästhesie

Die durchschlagendsten Erfolge hat die Anästhesie auf dem Gebiet der Sicherheit erzielt. Dabei spielen allerdings neue Techniken und Medikamente nur eine untergeordnete Rolle. Am wirkungsvollsten sind die lückenlose Überwachung der Vitalfunktionen, d. h. der lebenswichtigen Funktionen, des Patienten, das sogenannte Monitoring, sowie die umfassende Schulung aller Anästhesiebeteiligten über Komplikationen und Massnahmen zu deren Behebung. Neben der seit Jahrzehnten üblichen Ableitung der Herzströme (EKG), der automatischen Blutdruckmessung und der Messung der Sauerstoffsättigung im Blut sind mittlerweile auch die Ableitung der Hirnströme zur Abschätzung der Narkosetiefe, die präzise Bestimmung der Gaskonzentrationen in der Ausatmungsluft und intraoperative Blutuntersuchungen Standard geworden.

Welche Risiken bleiben?

Erst einmal ist es notwendig, zwischen schwerwiegenden Risiken und Komfortproblemen zu unterscheiden. Schwerwiegende Risiken sind Komplikationen, die zu bleibenden gesundheitlichen Schäden, im schlimmsten Fall zu Invalidität oder Tod führen. Komfortprobleme sind zeitlich begrenzte Störungen der Befindlichkeit, jedoch ohne weitere Auswirkungen auf die verbleibende Lebensqualität.

Eine Auswahl an kleinen Risiken:

Übelkeit und Erbrechen nach Allgemeinanästhesie

Mit dem zunehmenden Verzicht auf Narkosegase ist die Häufigkeit dieser – im wahrsten Sinn des Wortes – üblen Komplikation auf unter 20 Prozent gesunken. In der Klinik Pyramide verwenden wir seit Jahren nur noch intravenöse Anästhesiemittel.

Wachsein während einer Allgemeinanästhesie

Diese gefürchtete, wenn auch nicht lebensbedrohliche Komplikation ist glücklicherweise selten. In der Mehrzahl der aufgetretenen Fälle handelte es sich um akustische Wahrnehmungen, d. h., der Patient kann sich nach der Operation – mehr oder weniger deutlich – an Geräusche, Gesprächsfetzen oder ganze Konversationen erinnern. Dabei ebenfalls verspürte Schmerzempfindung ist äusserst selten. Die seit einigen Jahren eingesetzte Überwachung der Hirnströme während einer Operation zur Abschätzung der Narkosetiefe trägt dazu bei, dass die Häufigkeit deutlich unter die 1-Promille-Grenze gesunken ist.

Kopfschmerz nach Spinalanästhesie

Betrug die Häufigkeit des berüchtigten postspinalen Kopfschmerzes 1990 noch 14 Prozent, ist sie heute auf unter 1 Prozent gesunken. Hauptgrund dafür ist die Verwendung dünnerer Punktionsnadeln.

Wie sieht es nun mit den gefürchteten schwerwiegenden Komplikationen aus?

Während deren Häufigkeit zu Beginn der Siebzigerjahre noch rund 1:80 000 betrug, liegt sie heute bei etwa 1:200 000. Gleichzeitig ist aber festzustellen, dass sich die Meldungen über Zwischenfälle in der Anästhesie häufen. Wie hängt das mit der sinkenden Häufigkeit der Komplikationen zusammen? Einerseits sind Schreckensmeldungen aus dem Gesundheitswesen in den letzten Jahren mehr und mehr ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und ins Interesse der Medien gerückt. Andererseits nimmt die Anzahl der durchgeführten Anästhesien weltweit jedes Jahr zu. Selbst bei prozentual immer weniger Zwischenfällen führt diese Zunahme der Anästhesien schlussendlich zu einer höheren Gesamtzahl von Komplikationen.

Müssen wir nun Angst vor einer Anästhesie haben oder nicht?

Wenn man jedoch die Risiken einer Anästhesie für einen Wahleingriff mit den Risiken vergleicht, die wir im Alltagsleben auf uns nehmen, sehen die Verhältnisse weniger drastisch aus: In Anbetracht der Tatsache, dass die Häufigkeit eines Verkehrsunfalls mit bleibenden Schäden bei rund 1:25 000 liegt, hat ein Patient den gefährlichsten Teil einer Operation bereits hinter sich, wenn er unfallfrei in der Klinik angekommen ist.

Die Vorteile der Vollnarkose und Die Nachteile des Dämmerschlafs

In diesem Video räumt  Dr. med. Christoph Helmuth Schubert mit den Vorurteilen gegenüber einer Narkose auf und erläutert die Nachteile vom Dämmerschlaf.

 

Weitere Informationen zum Thema finden Sie in unserem Fachgebiet Anästhesiologie.

Dr. med. Christoph Schubert
Facharzt FMH für Anästhesiologie

Zentrum für Anästhesiologie
Klinik Pyramide am See

Die Praxisgemeinschaft für Anästhesiologie an der Klinik Pyramide ist für alle Anästhesiebelange zuständig.