Unspezifische Beschwerden bei Gallensteinen werden oft verkannt

19.08.2019

Patienten und Patientinnen mit Gallensteinen und typischen Gallenkoliken lassen ihre Gallenblase oft zeitnah operativ entfernen. Dass aber auch Gallensteinträger mit weniger typischen Beschwerden von einer Operation profitieren und Risiken vermindern können, ist weniger bekannt.

Frau S. erwacht kurz nach Mitternacht wegen unerträglicher, krampfartiger Oberbauchschmerzen; sie kämpft gegen Übelkeit und muss kurz darauf mehrfach erbrechen. Die Schmerzen rauben ihr den Atem; sie strahlen nach rechts in den Rücken und in die Schulterregion aus. Am Abend hatte sie ein Käsefondue genossen. Weil die Schmerzen auch nach einer Stunde nicht abklingen, ruft sie den Notfallarzt. Dieser injiziert Frau S. ein Schmerzmittel und ein krampflösendes Medikament, worauf die Beschwerden rasch nachlassen. Er rät ihr, eine Ultraschalluntersuchung der Leber und Gallenblase durchführen zu lassen, da er an eine Gallenkolik bei Gallensteinen denkt. Die Sonografie bestätigt die Verdachtsdiagnose, und Frau S. wird eine laparoskopische Cholezystektomie (minimalinvasive Entfernung der Gallenblase) empfohlen, die sie angesichts der drastischen Erfahrung in jener Nacht auch bald durchführen lässt.

Akute, aber atypische Gallenkolik

Herr Z. klagt über einen rasch zunehmenden Schmerz im mittleren Oberbauch und hinter dem Brustbein, der bis zum Hals und in die linke Brusthöhle ausstrahlt. Er hat Atemnot und verspürt Übelkeit. Er begibt sich auf die nächstgelegene Notfallstation. Dort wird er unter dem Verdacht auf eine akute Herzerkrankung untersucht. Man beruhigt ihn und sagt ihm, dass keine Durchblutungsstörung des Herzens vorliege. Schliesslich wird er, nachdem die bei Eintritt erhaltenen Schmerzmedikamente die Beschwerden gelindert haben, ohne Diagnose nach Hause entlassen. Die Beschwerden nehmen aber wieder zu. Schliesslich meldet er sich zwei Tage später verunsichert bei seinem Hausarzt, der eine Druckempfindlichkeit im rechten Oberbauch feststellt und eine Sonografie veranlasst, bei der Gallensteine gefunden und der Verdacht auf eine Entzündung der Gallenblase erhoben wird. Zur weiteren Abklärung schickt er seinen Patienten Z. noch zur Magenspiegelung, die unauffällig ist; schliesslich empfiehlt er ihm eine laparoskopische Cholezystektomie.

Mehrjähriges Leiden bei «irrelevantem» Zufallsbefund

Frau B. weiss seit bald 20 Jahren, dass in ihrer Gallenblase Steine liegen. Diese wurden im Rahmen einer Reizdarmabklärung entdeckt, mangels typischer Gallenkoliken aber als irrelevanter Zufallsbefund gewertet. Seit Jahren plagt sie ein unangenehmer Druck im rechten Oberbauch. Es fällt ihr auf, dass der Druck nach dem Essen eher stärker ist; über die Jahre verliert sie die Lust am Essen und Gewicht, ohne es zu wollen. Sie hat bereits zwei Magenspiegelungen gehabt und über Monate Säureblocker eingenommen, ohne Erfolg. Der Druck wird zunehmend zu einem quälenden Schmerz. Sie wechselt zu einem anderen Arzt; dieser denkt an atypische Gallensteinbeschwerden und empfiehlt ihr eine laparoskopische Cholezystektomie. Schon am ersten Tag nach der Operation merkt Frau B., dass sie wieder essen kann, ohne danach Schmerzen zu leiden.

Bei der ersten Episode handelt es sich um eine lehrbuchartige, typische Gallenkolik, die auch prompt als solche erkannt wurde, so dass rasch eine adäquate Behandlung erfolgte. Die zweite Episode beschreibt ebenfalls eine akute Schmerzattacke, diese wird aber, weil atypisch, nicht als Gallenkolik interpretiert, und die entsprechende Behandlung verzögert sich. Bei der dritten Patientin dauert es Jahre, bis der Zusammenhang zwischen ihren Gallensteinen und ihren Beschwerden erkannt wird.

Verschiedene Ursachen und Symptome

Gallensteine sind sehr häufig. Ab dem mittleren Erwachsenenalter (ab 40 J.) findet man bei etwa 15 bis 30 Prozent der Menschen Gallensteine in der Gallenblase, mit zunehmendem Alter immer häufiger, etwa doppelt so oft bei Frauen als bei Männern. Ursächlich spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, wobei eine familiäre Häufung auffällt und höchstwahrscheinlich durch genetische Voraussetzungen bedingt ist; daneben sind aber auch Begleitdiagnosen und Ernährungsweise von Bedeutung. Die meisten Betroffenen bleiben ein Leben lang ohne typische Beschwerden, etwa 25 Prozent leiden aber irgendwann unter Oberbauchschmerzen oder anderen Symptomen, welche auf die Gallensteine zurückzuführen sind. Ein Teil erlebt auch Komplikationen der Steine, sei dies nun eine Gallenblasenentzündung, eine Gelbsucht bei Gallengangstauung oder eine Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse) wegen eines (in der Regel kleinen) Steines, der in den Gallengang gewandert und dort stecken geblieben ist. Häufig werden Gallensteine im Rahmen von bildgebenden Untersuchungen (Sonografie, Computertomografie, Magnetresonanz-Tomografie) entdeckt, die aus anderen Gründen durchgeführt worden sind. Die Patienten werden dann meist gezielt gefragt, ob sie je Gallenkoliken erlebt haben. Wenn nicht, werden die Gallensteine als asymptomatischer Zufallsbefund klassifiziert und die Betroffenen orientiert, dass sie keine Behandlung brauchen, solange sie keine Koliken haben.

Unspezifische Beschwerden bei Gallensteinen:

  • Völlegefühl nach dem Essen (v. a. nach üppigen, fettreichen Mahlzeiten), oft auch schon während des Essens auftretend
  • Unangenehmes Druckgefühl oder Stechen im (rechten) Oberbauch, meist nach dem Essen auftretend, oft aber auch anhaltend vorhanden
  • Fettintoleranz (insbesondere spürbar beim Konsum von frittierten Nahrungsmitteln, Gänseleber, Käsefondue, Schokolade) sowie Kaffeeintoleranz
  • Häufige Übelkeit (schon morgens oder nach dem Essen) und Erbrechen
  • Vermehrte Blähungen und Aufstossen nach dem Essen
  • Nach dem Essen attackenartig auftretende Schweissausbrüche und Atemnot
  • Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust ohne andere Erklärung
  • Bedürfnis, nach dem Essen der Verdauung mittels Magenbitter «nachzuhelfen»
  • Vermeiden der Rechtsseitenlage beim Schlafen

Geplanter Eingriff statt Notfalloperation

Ein erheblicher Anteil der Gallenblasenoperationen bzw. -interventionen wegen Gallengangsteinen muss notfallmässig durchgeführt werden. Grund dafür können medikamentös nicht beherrschbare, sehr häufige Schmerzattacken sein, aber auch akute Gallenblasenentzündungen oder Steine in den Gallengängen. Ein Teil der notfallmässig behandelten Patienten wusste vorher gar nicht, dass bei ihnen Gallensteine vorhanden waren; anderen waren ihre Steine sehr wohl bekannt. Die meisten hatten nicht realisiert, dass insbesondere kleine Gallensteine erhebliche Risiken bergen können. Auf gezielte Nachfrage hin hatten sie aber seit Jahren eine Fettunverträglichkeit bemerkt und solche Nahrungsmittel gemieden. Nahmen sie dennoch fettreiche Kost ein, verspürten sie anschliessend ein unangenehmes Völlegefühl, einen Druck im Oberbauch, ein Stechen im rechten Oberbauch oder einen leichten Schmerz hinter dem unteren Brustbein, ein leichtes Unwohlsein oder eine leichte Übelkeit. Nicht wenige hatten bemerkt, dass ihnen dann ein Magenbitter «gut tut und bei der Verdauung hilft». Notfallbehandlungen sind für die Patienten mit erhöhtem Risiko und mit Unannehmlichkeiten verbunden, die bei geplanten Eingriffen verhindert werden können. Die geplant durchgeführte laparoskopische Cholezystektomie ist eine risikoarme, von den meisten Betroffenen als nicht sehr schmerzhaft empfundene Operation; sie erfolgt im Rahmen einer etwa dreitägigen Hospitalisation und hinterlässt nur winzige, später kaum sichtbare Narben. Gallenkoliken sind erheblich schmerzhafter und mögliche Komplikationen einer Steinwanderung deutlich gefährlicher als der operative Eingriff. Die Risikoabwägung bei symptomatischen (auch atypisch symptomatischen) Patienten spricht also klar für die operative Behandlung.

Fazit

Oberbauchbeschwerden sollten grundsätzlich mittels Sonografie abgeklärt werden, auch wenn keine typischen Gallenkoliken beschrieben werden. Finden sich Gallensteine, muss abgeklärt werden, ob andere Erkrankungen die Beschwerden erklären können; meist bedeutet dies, dass zusätzlich eine Magenspiegelung veranlasst wird, evtl. auch eine Dickdarmspiegelung oder eine Computertomografie. Bleiben diese Untersuchungen ohne Befund, sollte eine Gallenblasenentfernung erwogen werden, insbesondere wenn die Beeinträchtigung von den Betroffenen als erheblich eingestuft wird oder wenn Steine gefunden wurden, die nur wenige Millimeter gross sind. Ein Verschwinden der unspezifischen Beschwerden (siehe Aufzählung oben) nach der Operation kann in solchen Fällen zwar nicht garantiert werden, die Chancen dafür stehen aber recht gut. Personen mit zufällig entdeckten Gallensteinen, die über unspezifische Bauchbeschwerden klagen, sollten von einem in diesen Belangen erfahrenen Facharzt untersucht und beurteilt werden, am besten von einem Gastroenterologen oder einer Viszeralchirurgin.

Weiter Informationen finden Sie unter dem Fachbereich Viszeralchirurgie.
 

PD Dr. med. Daniel Bimmler
Facharzt FMH für Chirurgie, spez. Viszeralchirurgie

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