• Sie erreichen uns von Montag bis Freitag
    08:00 Uhr bis 17:00 unter der 
    Telefonnummer +41 44 388 14 14

    Jetzt anrufen

Der Körper ist kein Spielzeug. Interview mit Dr. Cédric A. George.

26.09.2024 Dr. med. Cédric A. George

Früher gab es den Blick in den Spiegel, heute gibt es die Videokonferenz im Home-Office. Man betrachtet sich von unten, sieht ein Doppelkinn, die schlaffe Haut um die Augen. Plastische Chirurgen nennen das «Zoom-Dysmorphie» und meinen damit das negative Selbstbild, das Menschen entwickeln können, wenn sie sich stundenlang durch die Kamera ihres Laptops oder Handys anschauen.

Kann da nicht eine Spritze helfen, das eigene Bild besser zu ertragen?Die Nachfrage nach Schönheitsoperationen nimmt stark zu. Laut Zahlen der Internationalen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie wurden 2022 weltweit mehr als 33 Millionen Eingriffe durchgeführt. Das sind 40 Prozent mehr als noch im Jahr 2018.

Für die Schweiz gibt es keine solchen Statistiken, doch Cédric George sagt, es gehe in eine ähnliche Richtung. George ist plastischer Chirurg und verantwortlicher Arzt an der Klinik Pyramide am See in Zürich. Er hat die Privatklinik im Jahr 1993 gegründet, heute werden dort, im Zentrum für Plastische Chirurgie, jährlich 1000 bis 1500 ästhetische Eingriffe durchgeführt.

Herr George, Sie sind Schönheitschirurg. Das sind doch die Ärzte, die Lippen aufspritzen, Fett absaugen und Brüste vergrössern. Hat Ihr Beruf einen falschen Ruf?

Das Problem beginnt bei dem Begriff Schönheitschirurg; das ist kein geschützter Titel, jeder Arzt kann sich so nennen. Entsprechend sagt er nichts über die Qualifikation aus. Ich bin ausgebildeter plastischer Chirurg, der auch Schönheitschirurgie macht.

Dann fehlt es der Branche an Seriosität?

Es gibt Kollegen, die denken, sie seien Götter und könnten Menschen neu schaffen. Manchmal sieht man Figuren herumlaufen, da sage ich auch:So nicht! Das Problem sind die aufgespritzten Gesichter, bei denen nicht operiert, sondern nur schlaffe Haut aufgefüllt wurde. Diese Menschen sehen aus wie Luftballons. Und so entsteht ein falsches Bild von unserer Branche, die eigentlich auf einer stabilen und seriösen Basis arbeitet.

Können Sie ein passenderes Bild zeichnen?

Ich versuche, den Beruf mit Sinn zu füllen. Als Arzt für plastische und ästhetische Chirurgie mache ich zum Beispiel viel Tumorchirurgie. Ich entferne den Krebs an der Brust und muss dann schauen, dass sie wiederhergestellt wird. Die plastische Chirurgie kommt aus der Traumatologie, im Ersten Weltkrieg erlitten viele Soldaten schwere Minenverletzungen im Gesicht. Damals lernten die Ärzte, wie sie diese Menschen wieder flicken können. Daraus entstand die ästhetische Chirurgie. Sie definiert sich dadurch, dass es keinen medizinisch zwingenden Grund für einen Eingriff gibt. Es ist eine Wunschchirurgie. Konzentrieren wir uns auf die Schönheitschirurgie. Sie ist, global betrachtet, eine Milliardenindustrie. Die Nachfrage nach bestimmten Eingriffen wie einer Bauchstraffung verzeichnet zweistellige Wachstumsraten.

Was ist passiert?

Die Menschen sehen auf Tiktok und Instagram, was alles gemacht wird, und wollen das auch. Gleichzeitig gibt es mittlerweile an fast jeder Ecke einen Anbieter. Allgemeinmediziner, Dermatologen, Gynäkologen, sie alle können ästhetische Eingriffe anbieten und betreiben zum Teil sehr aggressives Marketing.

Angebot oder Nachfrage, was war zuerst?

Das Grundbedürfnis der Menschen, schön zu sein, ist uralt. Diane de Poitiers, die Maîtresse von König Heinrich II. von Frankreich, hat schon im 16. Jahrhundert Gold geschluckt, weil sie glaubte, so den Alterungsprozess aufhalten zu können. Heute haben wir zum Glück bessere Möglichkeiten, um dieseWünsche, die es schon immer gab, zu erfüllen.

Was wird in Ihrer Klinik am meisten nachgefragt?

Es gibt Wochen, da straffe ich nur Bäuche, und Wochen, da verkleinere ich vor allem Brüste. Einen Bestseller gibt es nicht. Wobei ich natürlich älter werde, meine Kundinnen und Kunden älter werden, und darum steigt die Nachfrage nach Facelifts an.

Was kostet ein Facelift?

Unter diesem Begriff läuft sehr viel. Es gibt Ärzte, die schneiden bei den Ohren auf, ziehen die Haut nach hinten und nähen wieder zu. Zu einem richtigen Facelift gehört aber das ganze Gesicht plus Hals. Eine solche Operation dauert drei bis vier Stunden und kostet etwa 25 000 Franken. Mit Augen wären wir bei 30 000 Franken.

Wie kommt ein solcher Preis zustande?

Im Betrieb muss ich schauen: Wie gross ist der Aufwand? Wie viel Sicherheit baue ich ein? Wenn man es richtig machen will, sind die grössten Kostenpunkte die Infrastruktur und das Personal. Bleiben wir beim Facelift: Hier muss zum Beispiel auch der Koch über die Operation informiert sein, damit er ein Essen zubereitet, das der Patient nicht zerkauen muss. Im Vergleich mit anderen Ländern hat die Schweiz eine hohe Dichte an Ärzten, die ästhetische Eingriffe anbieten.

Ist die Konkurrenz ein Problem?

Es gibt eine gesunde, normale Konkurrenz, die in einem freien Markt wichtig ist, dank ihr bleibt man fit. Und dann gibt es die Konkurrenz, die den Markt kaputtmacht: selbsternannte Spezialisten mit sehr gutem Marketing. Es gibt Kliniken, die ihren Patienten einen Mengenrabatt auf Botoxspritzen anbieten, wenn sie jemanden mitbringen. In Luzern gibt es einen mit der Aktion Busenfreundin: Kommt zu zweit, und ihr erhaltet einen Rabatt auf eine Brustvergrösserung.

Was sagen Sie dazu?

Leute mit Geld zu motivieren, ist dumm. Es gibt Kollegen, die arbeiten mit Kreditinstituten zusammen. Da kommt der Kunde in die Praxis, unterzeichnet ein Formular dieses Instituts mund erhält dann das Geld für die Operation.
Völlig daneben.

Gibt es eine Qualitätskontrolle für ästhetische Eingriffe?

Nein, die gibt es nicht. Man kann nur laufend beobachten, wer wie viele zufriedene Kunden hat. Und dann gibt es noch die Google-Bewertungen, die sind gar nicht so schlecht. Sie schaffen Transparenz.

Wer Ihren Namen bei Google eintippt, findet eine einzige Bewertung: 5 Sterne. Das Zentrum für Plastische Chirurgie hat keine Bewertungen.

Immerhin füttern wir Google nicht mit falschen Bewertungen, das gibt es nämlich auch.

In der Finanzwelt dreht sich derzeit vieles um Kryptowährungen, in der Tech-Branche reden alle von künstlicher Intelligenz. Was sind die grössten Innovationen in Ihrem Bereich?

Das wäre wohl das Tissue-Engineering. Wir können heute aus Stammzellen künstliches Gewebe züchten. Ein 3-D-Drucker soll daraus einst bestimmte Implantate formen – mit den eigenen Zellen des Patienten! Klingt futuristisch, ist aber machbar. Wir werden in Zukunft mehr und mehr von künstlichen Materialien wegkommen.

In letzter Zeit ist viel über die neuen Abnehmspritzen Ozempic und Wegovy berichtet worden. Manche Ärzte preisen die Spritzen als Wundermittel an. Was halten Sie davon?

Da bin ich skeptisch. Wir wissen noch zu wenig über allfällige Langzeitnebenwirkungen.

Fragen Ihre Patienten nach den Spritzen?

Das kommt vor. Dann sage ich jeweils: Kaufen Sie sich lieber einen Crosstrainer, und gehen Sie jeden Tag 45 Minuten trampen. Essen Sie keine Spaghetti zum Znacht, und Sie werden abnehmen. Dafür lege ich meine beiden Chirurgenhände
ins Feuer!

Sie bezeichnen Ihre Patienten als Ihre Kunden. Wer sind die Menschen, die Ihr Geschäft am Laufen halten?

Querbeet, da ist wirklich alles dabei. Einen Unterschied gibt es bei den ästhetischen Eingriffen im Geschlecht: 80 Prozent sind Frauen, 20 Prozent sind Männer. Auch bei den jüngeren Menschen steigt die Nachfrage nach Schönheitsoperationen. Die Jungen kommen weniger zu uns, dafür sind wir zu zurückhaltend. Aber schauen Sie sich einmal in Zürich um, wie viele Jugendliche aufgespritzte Lippen, Piercings und Tätowierungen haben. Das sind alles ästhetische Eingriffe, da geht eine Nadel in die Haut. Mich beunruhigt dieser Trend. Der Körper ist nicht unbedingt ein Spielzeug.

Dabei könnten Sie sich freuen: Was Sie beschreiben, sind Ihre Kunden von morgen.

Als Arzt behandle ich keine Modetrends. Eine medizinische Leistung darf nicht ausschliesslich der Selbstoptimierung dienen, es muss schon ein gewisser Leidensdruck vorhanden sein. Abstehohren sind ein gutes Beispiel: Sie sind per se keine Missbildung, und doch finden wir es alle normal, wenn wir einem Buben die Ohren nach hinten klappen.

Sie haben einmal gesagt: «Nicht alles, was gewünscht ist, ist machbar, und nicht alles, was machbar ist, ist sinnvoll.» Wann sagen Sie zu einem potenziellen Geschäft Nein?

Wenn die Risiken grösser sind als die Wahrscheinlichkeit, das gewünschte Resultat zu erzielen. Manchmal kommen Menschen zu mir und wollen, dass ich ihre Nasenspitze um drei Millimeter anhebe. Drei Millimeter, das ist mikroskopisch! Dann sage ich jeweils, dass wir Ärzte sind und keine Bildhauer. Es kann sein, dass die Wundheilung die Form der Nase verändert und sie danach trotzdem nicht drei Millimeter weiter oben ist.

Immer wieder liest man über den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Spüren Sie ihn?

Ganz klar. Das beginnt in der Administration, medizinische Praxisassistentinnen und Arztsekretärinnen sind Mangelware. Ganz schwierig ist es auch in der Pflege.

Was tun Sie dagegen?

Kämpfen, suchen, Arbeitsbedingungen optimieren. Aber es ist nicht einfach. Die subventionierten Spitäler bieten höhere Löhne und mehr Ferien, an sie verlieren wir immer wieder Angestellte. Wir können nicht mithalten, weil wir jeden Franken, den wir ausgeben,auch verdienen müssen.

Wie ist die Situation bei den Ärztinnenund Ärzten?

Gut ausgebildete junge Ärzte zu finden, die eine gewisse Einstellung zur Arbeit mitbringen, ist auch nicht mehr so einfach. Schauen Sie, wenn Sie Arzt sind, können Sie nicht um 17 Uhr Feierabend machen. Ein Chirurg muss für seine Patienten da sein, dieser Grundsatz kommt an erster Stelle. In den neunziger Jahren hatte ich ein Natel C, ein Telefon, das war so gross und so schwer wie ein Koffer. Und das hatte ich immer dabei. Immer. So konnten meine Patienten mich erreichen. Heute haben sie meine Handynummer.

Was hat das mit den jungen Ärzten zu tun?

Die Jungen wollen eine Work-Life-Balance, einen Neun-Stunden-Tag und dann ein freies Wochenende. Als ich Oberarzt im Unispital war, gab es den Wochenenddienst, der von Freitagabend bis Montagmorgen dauerte. Und am Montagmorgen hat die reguläre Schicht begonnen, obwohl ich vielleicht zwei, drei Nächte gar nicht richtig geschlafen habe. Damals war das normal. Heute haben nur noch wenige junge Ärzte dieses Feu sacré.

Interview mit Janique Weder, NZZ