Harninkontinenz und Beckenbodenschwäche

ReizblaseSenkungsbeschwerden | LION-Verfahren

Inkontinenz und gynäkologische Senkungszustände sind relativ häufig und gehören leider zu den Tabuthemen unserer Gesellschaft. Betroffene trauen sich oft nicht, darüber zu reden. Vor allem Frauen fühlen sich durch den ungewollten Harnverlust sehr belastet. Heute kann den meisten Patienten mit verschiedenen Behandlungen geholfen werden.

Von Belastungsinkontinenz spricht man, wenn bei Belastungssituationen wie Husten, Niesen, Springen und Heben schwerer Lasten zu ungewolltem Urinabgang  kommt. An Belastungsinkontinenz leiden Frauen in allen Altersgruppen. Frauen im mittleren Lebensalter sind jedoch besonders häufig betroffen. Die Fähigkeit während einer Belastungssituation den Urin zurückzubehalten, hängt von der koordinierten Zusammenarbeit ausgewählter Muskeln, Nerven und Bändern des Beckenbodens ab. Diese Strukturen müssen dem erhöhten Bauchdruck, der sich auf die Blase auswirkt, entgegenwirken. Die häufigsten Ursachen der Belastungsinkontinenz sind Harnröhrenschwächung und Schädigung des Blasenhalteapparates als Folge von Geburten und von zunehmendem Alter. Auch Beckenbodenschädigung, Bindegewebsschwäche, Nervenschädigung und lokaler Hormonmangel begünstigen die Belastungsinkontinenz.

Konservative Therapiemöglichkeiten

Die Beckenbodenmuskulatur und das Beckenbindegewebe spielen eine wichtige Rolle zur Sicherung der Kontinenz. Ein Anspannen des Beckenbodenmuskels bewirkt nämlich eine Stützung der Harnröhre. Bei korrekt durchgeführtem Beckenbodentraining kann mit einer Verbesserung der Inkontinenz in bis zu 40 bis 80 Prozent der Fälle gerechnet werden. Zu den konservativen Massnahmen gehören auch verschiedene spezielle Kontinenztampons und sog. Pessare welche angepasst werden und so zum Beispiel bei Sport die Kontinenz verbessern helfen.

Operative Therapie

Kann eine Belastungsinkontinenz mit konservativen Therapiemassnahmen nicht zufriedenstellend behandelt werden, so kann eine Inkontinenzoperation weiterhelfen.  Ein neuartiges Kontinenzband wurde Mitte der 90-er Jahre erfunden und hat die Inkontinenzchirurgie revolutioniert. Die „alte“ Operation, bei welcher die Blase in Vollnarkose „aufgehängt“ wurde, ist durch die neue Technik und deren Varianten (=Tension free Vaginal Tape) verdrängt worden. Das TVT-Band hat eine netzartige Struktur und besteht aus nicht resorbierbarem Kunststoff. Es hat sich in vielen Millionen Operationen bewährt. Das Band wird vom Körper nicht abgestossen. Es ist beidseits an einer spitzen Führungsnadel fixiert und wird mit Hilfe eines Führungsinstrumentes in Lokalanästhesie beidseits der Harnröhre von der Scheide her ein- und hinter dem Schambein hochgeführt. Nur zwei kleine Durchstichstellen oberhalb der Schamhaare bleiben als sichtbare Narben. Das TVT-Blasenband verläuft U-förmig unter der Harnröhre und bei Druck auf die Blase und Harnröhre von oben, z.B. beim Husten,  kommt es zu einer Art „Knickung“ der Harnröhre, womit der Urinabgang verhindert wird. Während der Operation ist die Patientin wach und muss bei gefüllter Blase wiederholt husten. Dabei wird das Band so lange über die oberhalb des Schambeins herausragenden Bandenden angezogen, bis fast kein Urin mehr abgeht. Denn, wenn das Band zu stark angezogen wird, kann die Patientin nicht mehr gut Wasser lösen und wenn das Band zu locker liegt, verliert die Patientin unverändert Urin. Die Erfolgsraten sind abhängig von der Erfahrung des Chirurgen und liegen bei 80 bis 95 Prozent.

Reizblase, hyperaktive Blase, Dranginkontinenz

Was man im Volksmund „nervöse Blase“, „Reizblase“  oder „Dranginkontinenz“ nennt, heisst in der Fachsprache „überaktive oder hyperaktive Blase“. Das Hauptsymptom dieser überaktiven Blase ist ein plötzlich auftretender, störender, krankhafter Harndrang. Als Folge davon kommt es zu gehäuftem Wasserlösen am Tag und teilweise sogar in der Nacht. Unter Umständen kommt es zur Harninkontinenz, bevor die Toilette erreicht wird. Dann spricht man von Dranginkontinenz. Mindestens jeder sechste Erwachsene leidet an einer überaktiven Blase. Deshalb gehört das Krankheitsbild der überaktiven Blase zu einer der häufigsten Krankheiten.

Konservative Therapiemöglichkeiten

Beckenbodentraining hilft auch bei der hyperaktiven Blase. Zusätzlich sind aber Verhaltensänderungen (Verzicht auf scharfe Gewürze, Nikotin, kohlensäurehaltige Getränke, Gewichtsreduktion), Blasentraining und Medikamente wichtige Elemente einer erfolgreichen Therapie. Ziel des Blasen- und Beckenbodentraining ist die Steigerung des Blasenfassungsvermögens. Die zeitlichen Abstände zwischen dem Gang zur Toilette werden schrittweise und teils mit Unterstützung von Medikamenten, welche die Blase „beruhigen und entspannen helfen“, erhöht. Die Blase lernt somit, mehr Wasser aufzunehmen und zu behalten, ohne dass Urin abgeht. Manifestieren sich die Reizblasenbeschwerden nach der Menopause, so können auch lokal Hormonsalben oder Zäpfchen hilfreich sein. Die Östrogene bauen die Schleimhaut in der Harnröhre, der Blase und auch in der Scheide wieder auf. Eine erste Besserung von Drangsymptomen und Brennen, Jucken oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr ist nach 1 bis 2 Monaten spürbar. Der Zustand vor den Wechseljahren wird durch lokal zugeführte Östrogene wiederhergestellt. Da Östrogene etwas ersetzen, das fehlt, stellen sich beim Absetzen wieder dieselben Probleme ein. Deshalb empfiehlt sich eine längerfristige Behandlung. In manchen Fällen verschwindet dadurch die lästige Blasenschwäche ganz.

Operative Therapie

Mit den konservativen, individuell anpassbaren Therapieoptionen kann vielen Patientinnen eine zufriedenstellende Besserung der Lebensqualität angeboten werden. Dennoch spricht ein Teil der Patientinnen nicht genügend auf diese Therapien an oder die Nebenwirkungen der Medikamente (z.B. trockener Mund) sind intolerabel. In dieser Situation kann als Alternative eine Injektionstherapie eine Alternative sein. Während einer Blasenspiegelung wird ein bestimmter Wirkstoff an ca. 20 verschiedenen Stellen in den Blasenmuskel gespritzt – mit dem Ziel, die Muskelkontraktion zu schwächen und damit die Drangsymptomatik zu senken. Die Wirkungsdauer in der Blase beträgt durchschnittlich etwas weniger als ein Jahr. Viele Frauen benötigen aber gemäss unseren Erfahrungen erst nach 1 ½ bis 2 Jahren eine erneute Injektionstherapie.

Beschwerden verursacht durch Senkung der Genitalorgane

Der Bauchraum und das kleine Becken sind nach unten durch den Beckenboden abgeschlossen. Die Harnblase liegt auf dem Beckenboden und die Gebärmutter wird durch ein System aus Muskeln und Bindegewebe aufgehängt, ebenso wie der Enddarm, welcher durch den Beckenboden zurückgehalten wird. Eine alters- oder geburtsbedingte Schwächung oder Schädigung der Beckenbodenstrukturen kann zu einer Senkung dieser Organe führen. Senkungsbeschwerden werden typischerweise im kleinen Becken, im Scheidenbereich und teils im Kreuz oder der Leistengegend angegeben. Gynäkologische Senkungsbeschwerden reichen von einem leichten Ziehen bis zu Behinderungen beim Bewegen und Gehen im Fall eines totalen Vorfalls. Bei starker Senkung wird auch oft ein Fremdkörpergefühl im Unterleib oder ein tastbarer Befund („teils wie eine Kugel oder ein Ping-Pong-Ball“) vor dem Scheideneingang beschrieben. Typischerweise sind die Beschwerden nicht während des ganzen Tages gleich. Bei längerem Stehen oder körperlicher Arbeit werden sie stärker. Beim Liegen während der Nacht kommt es zu einem Zurückrutschen des Senkungsbefundes, so dass die  Beschwerden verschwinden. Der Sexualverkehr wird von vielen Patientinnen oft als unangenehm oder sogar schmerzhaft empfunden. Das Ausmass der Senkung muss aber nicht unbedingt mit der Intensität der Beschwerden übereinstimmen. Oft kommt es zu erschwertem Wasserlösen, vermehrtem Harndrang oder auch Problemen bei der Stuhlentleerung. Eine Senkung ist nicht zwingend mit einer Harninkontinenz verbunden. Im Gegenteil: Durch das Tiefertreten der Blase berichten manche Frauen über vorübergehende Harnverhaltung.

Verschiedene Senkungsarten

Die Diagnostik erfolgt mittels einer gynäkologischen Untersuchung und eines Ultraschalls. In vereinzelten Fällen kann auch eine erweiterte Diagnostik z.B. mittels Computertomogramm erfolgen. Wenn die vordere Scheidenwand tiefer tritt, spricht man von einer Blasensenkung (= Zystozele). Bei einer Senkung der Gebärmutter tritt die Gebärmutter – genauer gesagt der Muttermund – tiefer. Von einer Darmsenkung (= Rektozele) spricht man, wenn die hintere Scheidenwand tiefer tritt. Wurde die Gebärmutter bereits entfernt, spricht man von einer Senkung des Scheidenstumpfes oder von einer Enterozele, weil mit der Scheide der tiefste Teil der Bauchhöhle mit Dünndarmschlingen gesunken ist.

Konservative Therapiemöglichkeiten

Durch gezieltes Beckenbodentraining ist es möglich, den Senkungsbefund zu bessern, die Symptome zu lindern und das Fortschreiten der Symptomatik hinauszuzögern. Hilfreich können auch sog. Scheidenpessare sein. Pessare werden vom Arzt zuerst angepasst, danach kann die Patientin diesen selbst täglich einführen und entfernen. Sie wirken dadurch, dass sie das Tiefertreten der Blase oder der Gebärmutter verhindern (ähnlich wie ein normaler Tampon).

Operative Therapie

Operativ kann jeder gynäkologische Senkungsbefund durch die Scheide, also ohne Bauchschnitt behandelt werden. Die operative Wiederherstellung von Anatomie und Funktion bei Senkungszuständen gehört seit jeher in die Kategorie der anspruchsvollen gynäkologisch-chirurgischen Tätigkeit. Die heute eingesetzten Operationsverfahren können auf die Bedürfnisse der Patientin genau abgestimmt werden und sehr gut mit Zusatzeingriffen, beispielsweise bei Harninkontinenz, kombiniert werden. Senkt sich die Gebärmutter, ist meist im Rahmen der Beckenbodenwiederherstellung die Entfernung der Gebärmutter notwendig. Bei einer Blasensenkung wird durch eine vordere Scheidenplastik („Blasenraffung“) das Beckenbodengewebe zwischen Scheide und Harnblase dargestellt und durch Nähte eine Gewebeschicht rekonstruiert, welche Blase und Harnröhre in ihre ursprüngliche Position anheben. Ähnlich geht man auch bei der Darmsenkung vor. Eine spezielle Herausforderung stellt die Senkung des Scheidenstumpfes dar. Hier besteht die Aufgabe darin, das Ende der Scheide in der Tiefe des kleinen Beckens dauerhaft zu fixieren. Gleichzeitig müssen vordere und hintere Scheidenwand (Zystozele und Rektozele) je nach Ausmass der Senkung rekonstruiert werden.

Weiere Informationen finden Sie in diesem Fachartikel Goldletter.

LION-Verfahren

Das von Prof. Possover entwickelte LION-Verfahren hat viele Behandlungen in der gynäkologischen Chirurgie revolutioniert, so auch die Therapie bei hyperaktiver Blase, Inkontinenz und sexuellen Störungen. Das LION-Verfahren (Laparoscopic Implantation Of Neuroprothesis) beruht auf einer Nervenstimulation, resp. der Anwendung von Elektrizität an den Nerven zur Ansteuerung von Nervenfehlfunktionen im Beckenbereich mittels laparoskopischer Implantierung eines Mikrostimulator-Systems. Am Pudendusnerv angewandt, eignet sich das LION-Verfahren zur Behandlung der hyperaktiven Blase bzw. Reizblase sowie der Harn- und Stuhlinkontinenz – besonders dann, wenn beide Symptome gleichzeitig auftreten. Der Pudendusnerv ist zudem einer der wichtigsten Genitalnerven, der die Sexualfunktion sowie die Erektion von Klitoris und Penis steuert. Das LION-Verfahren kommt deshalb auch bei sexuellen Störungen und Erektionsstörungen zur Anwendung.

Weitere Informationen zum LION-Verfahren finden Sie auf der Webseite von Prof. Possover.