Perforatorlappen in der Rekonstruktion von Defekten der unteren Extremität

01.02.2024

Defekte im Bereich der unteren Extremität sind weiterhin eine der grössten Herausforderungen in der rekonstruktiven Chirurgie. Dabei haben sich Perforatorlappen als gute Möglichkeit einer Weichteilrekonstruktion erwiesen. Wir berichten im Folgenden über die Vielfältigkeit von Perforatorlappen in sowohl gestielter als auch freier Form.

Defektdeckungen im Bereich der unteren Extremität sind eine der Hauptaufgaben der plastischen Chirurgie. Die Gründe für Defekte in diesem Bereich können sehr verschieden sein. Häufig resultieren sie von Traumata, Tumorresektionen, chronischer Osteomyelitis oder diabetischen Ulzera. Defektdeckungen in dieser Region sind sehr herausfordernd und haben ein höheres Risiko zu versagen im Vergleich zu Defekten des übrigen Körpers.1 Gründe hierfür sind die kontinuierliche Last kombiniert mit der stetigen Bewegung, die feine Vaskularisation im Bereich des distalen Unterschenkels sowie die Festigkeit der Haut.2 Daher ist eine korrekte präoperative Planung, mit individuell angepasstem chirurgischem Prozedere, entscheidend für ein erfolgreiches Resultat. Die Verwendung von Perforatorlappen bietet viele Vorteile wie kürzere Operationszeit, geringere Morbidität der Spenderregion, geringes Risiko für Verletzungen der Hauptgefässe, weniger postoperative Komplikationen, kleinere Hautinzisionen sowie die Möglichkeit von mehreren Weichteiltransfers.3

Wir stellen im Folgenden unsere Erfahrung mit verschiedenen Perforatorlappen, sowohl in freier als auch gestielter Form, zur Deckung von Defekten der unteren Extremität dar. Dies ist eine der grössten Fallstudien zur Rekonstruktion mittels gestielten und freien Perforatorlappens im Bereich der unteren Extremität bisher.

KEYPOINTS

  • Perforatorlappen bieten aufgrund ihrer Vielfältigkeit die Möglichkeit, individuell auf die Anforderungen der Patienten einzugehen.
  • Sie führen zu einer geringeren Morbidität der Spenderregion, kürzeren Operationszeit und bergen ein geringeres Risiko, Hauptgefässe zu verletzen.
  • Für eine erfolgreiche perforatorbasierte Rekonstruktion ist die präoperative Planung entscheidend.

Ergebnisse aus 3 Jahren Erfahrung


Von April 2018 bis April 2021 führten wir eine retrospektive Studie am Luzerner Kantonsspital durch, wobei bei 87 Patienten eine Defektdeckung im Bereich der unteren Extremität durchgeführt worden ist. Dabei waren 20 Defekte im Bereich des Oberschenkels lokalisiert, 13 im Bereich des Knies, 31 am Unterschenkel, 11 im Bereich des Knöchels und 24 im Bereich des Fusses. Alle Operationen wurden durch den gleichen Operateur durchgeführt. Das durchschnittliche Patientenalter betrug 61,9 Jahre (21–87 Jahre). 12 Patienten erhielten eine sequenzielle Lappenplastik und bei 9 Patienten wurde eine doppelte freie Lappenplastik durchgeführt, welches zu einer Summe von insgesamt 106 Lappenplastiken führte. Die Ursachen der Defekte waren bei 41 Patienten traumabedingt und bei 46 Patienten tumorbedingt, wobei die Grösse der Defekte von 3 x 4 cm bis hin zu 25 x 9 cm variierte.

In allen Fällen konnte entweder aufgrund der Grösse des Defektes oder der freiliegenden Strukturen, wie z. B. Osteosynthesematerial, weder ein Direktverschluss noch ein Verschluss mittels Spalthaut durchgeführt werden. Daher wurde in 35 Fällen eine perforatorbasierte Propellerlappenplastik durchgeführt, in 10 Fällen eine Verschiebelappenplastik und in 9 Fällen eine perforatorbasierte VY-Lappenplastik. Zudem wurden bei 12 Patienten sequenzielle Lappenplastiken angewandt. Bezüglich der freien Perforatorlappen wurden bei 18 Patienten der «Superficial iliac artery perforator»-(SCIP)-Lappen verwendet, in 14 Patienten der «Anterolateral-» und „Anteromedial thigh»(ALT/AMT)-Lappen, bei 10 Patienten der «Posteromedial thigh»(PMT)-Lappen, in 4 Fällen der «Deep inferior epigastric perforator»(DIEP)-Lappen, in 3 Fällen der «Medial sural artery perforator »(MSAP)-Lappen und in 3 Fällen der «Lateral arm»-Lappen. Insgesamt wurden somit in 42 Fällen gestielte Perforatorlappen durchgeführt und in 45 Fällen freie Perforatorlappen (siehe Tab.). Dabei kam es zu keinem Lappenverlust. Zwei gestielte Perforatorlappen benötigten eine operative Revision aufgrund einer venösen Stauung. In zwei Fällen wurde aus ästhetischen Gründen im Verlauf ein Debulking der Lappenplastik durchgeführt. Die Follow-up-Zeit betrug zwischen 3 und 12 Monaten. Das Endresultat war bei allen Patienten zufriedenstellend.

Chirurgische Technik


Der erste Schritt für eine erfolgreiche perforatorbasierte Rekonstruktion ist die präoperative Planung. Dabei ist es entscheidend, die individuellen Anforderungen der Patienten zu berücksichtigen. Abhängig von der Lokalisation und der Grösse des Defektes haben wir zuerst die Möglichkeit einer lokalen, gestielten Lappenplastik evaluiert und diese stets präferiert. Bei grösseren Defekten bedarf es allerdings einer freien Lappenplastik. Hierbei haben wir darauf geachtet, auch im Empfängerbereich Perforatorgefässe zu nutzen, sodass eine Anastomose zwischen Perforatoren durchgeführt werden konnte. Da diese Gefässe in ihrem Durchmesser mit < 0,8 mm häufig sehr klein sind, benötigt es Supermikrochirurgie. Um den Gefässdurchmesser zu vergrössern, kann die «Open-Y»-Technik angewendet werden, bei welcher im Bereich einer Bifurkation die 2 Gefässäste ca. 2–3 mm entfernt von dieser durchtrennt werden und anschliessend die Gefässwand zwischen den 2 Ästen getrennt wird, wodurch der Gefässdurchmesser erhöht wird.4

Abbildung 1Abb. 1: Präoperative Markierung der prätibialen Nekrose und des Anschlussgefässes (A). Hebung der SCIP-Lappenplastik von rechts (B). Abgetrennte SCIP-Lappenplastik (C) und Demonstration der Dünne und Flexibilität (D)

Bei der Hebung des Lappens wurde die Dissektion des Pedikels stets retrograd bis hin zum Ursprungsgefäss durchgeführt, um die maximale Länge des Pedikels zu erreichen. Zudem wurde der Gefässstiel sorgfältig vom umgebenden Gewebe befreit, um eine vollständige Beweglichkeit des Lappens zu ermöglichen. Präoperativ wurde immer eine computertomografische Angiografie durchgeführt, um die Perforatoren darzustellen. Dies war nicht nur in der präoperativen Planung hilfreich, sondern auch während der operativen Dissektion der Gefässe.5

Abbildung 2Abb. 2: ICG-Kontrolle der Anastomosen (D)

Die Information aus der CT-Angiografie wurde dann mittels Doppler und/oder Doppler-Ultraschall verifiziert, um die präoperativen Markierungen anzufertigen.6 Zusätzlich führten wir intraoperativ immer Untersuchungen mit Indocyaningrün (ICG) durch. Dadurch konnten wir zunächst die Durchblutung des Lappens am Ende der Dissektion evaluieren, anschliessend die Funktion der Gefässanastomose sowie am Ende der Operation die Perfusion der Lappenplastik.7 Somit wurden bereits intraoperativ Areale mit Minderperfusion ausgemacht und direkt reseziert, um das Risiko für eine Nekrose zu minimieren. Ausserdem konnte in einer Studie von Yoshimatsu et al. gezeigt werden, dass durch die Angiografie mit ICG auch die venöse Stauung nach einer freien Lappenplastik beurteilt werden kann. 8

Abbildung 3
Abbildung 3Abb. 3: Intraoperative ICG-Kontrolle nach Einnähen der Lappenplastik (A). Direkt postoperatives
Foto der Rekonstruktion (B) und 6 Monate postoperativ (C, D)

Fallbeispiel


Exemplarisch beschreiben wir einen 66-jährigen Patienten mit einem Trümmerbruch des rechten Unterschenkels. Dieser wurde nach Stabilisation mittels Fixateur externe mit einem Tibianagel definitiv versorgt. Im Verlauf entwickelte sich eine Nekrose prätibial im Bereich der Verletzungszone, sodass nach Debridement ein Defekt der Grösse 15 x 7 cm mit freiliegendem Knochen entstand. Zur Defektdeckung wurde in diesem Fall eine freie SCIP-Lappenplastik verwendet. Um eine sichere Gefässanastomose zu gewährleisten, wurde der Gefässanschluss proximal an der A. tibialis posterior durchgeführt. Hierbei wurde ein Perforator der A. tibialis posterior auf einen Perforator der SCIP-Lappenplastik angeschlossen. Die ICG-Untersuchung zeigte eine gute Vaskularisation der gesamten Lappenplastik und der postoperative Verlauf war komplikationslos. Beim Follow-up 6 Monate postoperativ zeigte sich ein gutes funktionelles und ästhetisches Ergebnis.

Schlussfolgerung

Die untere Extremität ist eine der häufigsten Lokalisationen für grosse Weichteildefekte. Dies kommt auf der einen Seite durch Traumata zustande, wobei die untere Extremität häufig von Hochrasanztraumata betroffen ist.9 Auf der anderen Seite können Tumoren, etwa Sarkome, an der unteren Extremität zu grossen Weichteildefekten führen. Allerdings ist die Deckung solcher Defekte meist sehr komplex.10 Die Hauptgefässachsen sind limitiert und werden stetig hoher Belastung ausgesetzt, was die Rekonstruktion erschwert.11

Des Weiteren stellt der Lymphabfluss im Bereich der unteren Extremität eine grosse Herausforderung dar. Schwere Traumata können hierbei zu einer Verletzung der Lymphabflussbahnen führen, welche wiederum Lymphozelen oder Lymphödeme zur Folge haben können.12, 13 Das Ziel jeder Rekonstruktion ist es, ein Gleichgewicht zwischen dem Erhalt von tiefen Gefässbahnen und ausreichend Blutversorgung für die entsprechenden Lappenplastiken zu finden. In posttraumatischen Fällen ist die Gefässsituation zudem durch die Verletzung von nah gelegenen Gefässen erschwert, wodurch eine ausgedehntere Dissektion erforderlich ist.14

In den letzten Jahren hat die zunehmende Erfahrung mit perforatorbasierten Lappenplastiken die Nachteile von freien sowie gestielten Lappenplastiken überwunden.15 Die Verwendung von Perforatoren sowohl an der Entnahme- als auch an der Empfängerstelle war revolutionär.3

Perforatorlappen ermöglichen die Entnahme von sehr dünnem und flexiblem Gewebe, mit kleinerer Morbidität. Durch das Konzept der Perforator-zu-Perforator-Anastomose können nicht nur grosse Gefässe geschont, sondern auch oberflächlichere Dissektionen durchgeführt werden, womit die Operationszeit verkürzt werden kann und eine grosse Auswahl an Rekonstruktionsmöglichkeiten in schwer geschädigten Bereichen besteht.16 Mit ihrer Vielfältigkeit bieten Perforatorlappen die Möglichkeit, individuell auf die Anforderungen des Patienten eingehen zu können. Dabei ist die Auswahl der Lappenplastik immer von der Grösse des Defektes abhängig sowie von der Beschaffenheit des lokalen Gewebes. Wenn eine freie Lappenplastik notwendig ist, so spielen bei der Entscheidung der Lokalisation der BMI des Patienten sowie die Gefässsituation eine wesentliche Rolle. Daher ist es aus unserer Sicht entscheidend, sich der Vielfältigkeit von Perforatorlappen bewusst zu sein, um in der jeweiligen Situation die für den Patienten passende Möglichkeit der Rekonstruktion wählen zu können. 

Korrespondierender Autor:

Prof. Dr. med. Mario F. Scaglioni 
Facharzt FMH für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie
Handchirurgie und Lymphchirurgie | Co-Chefarzt

Zentrum für Plastische Chirurgie Pyramide AG
Bellerivestrasse 34
CH-8034 Zürich
+41 44 388 14 14

Autorin:

Dr. med. Caroline Sophie Fritz
Fachärztin FMH für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie


Literatur:
1 Bajantri B et al.: Wound coverage considerations for defects of the lower third of the leg. Indian J Plast Surg 2012: 45(2): 283-90 2 Rodrziguez ED et al.: Functional outcomes of posttraumatic lower limb salvage: a pilot study of anterolateral thigh perforator flaps versus muscle flaps. J Trauma 2009; 66(5): 1311-4 3 Hong JP, Koshima I: Using perforators as recipient vessels (supermicrosurgery) for free flap reconstruction of the knee region. Ann Plast Surg 2010; 64(3): 291-3 4 Scaglioni MF et al.: Application of the „Open-Y“ technique in recipient perforator vessels: A comparison study between „Open- Y“ and conventional end-to-end anastomosis in terms of postoperative complications. Microsurgery 2021; 41(6): 527-32 5 Masia J et al.: Multidetector-row computed tomography in the planning of abdominal perforator flaps. J Plast Reconstr Aesthet Surg 2006; 59(6): 594-9 6 Tashiro K et al.: Locating recipient perforators for perforator- to-perforator anastomosis using color Doppler ultrasonography. J Plast Reconsr Aesthet Surg 2014; 67(12): 1680-3 7 Liu Z et al.: [Application progress of indocyanine green angiography in breast reconstruction]. Zhongguo Xiu Fu Chong Jian Wai Ke Za Zhi, 2018; 32(11): 1463-8 8 Yoshimatsu H et al.: Application of intraoperative indocyanine green angiography for detecting flap congestion in the use of free deep inferior epigastric perforator flaps for breast reconstruction. Microsurgery 2021; 41(6): 522-6 9 Kozusko SD et al.: Selecting a free flap for soft tissue coverage in lower extremity reconstruction. Injury 2019; 50(Suppl 5): S32-9 10 Egeler SA et al.: Long-term patient-reported outcomes following free flap lower extremity reconstruction for traumatic injuries. Plast Reconstr Surg 2018; 141(3): 773-83 11 Isenberg JS, Sherman R: Zone of injury: a valid concept in microvascular reconstruction of the traumatized lower limb? Ann Plast Surg
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